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Toleranz, Hoffnung und Gerechtigkeit

Europa am Abgrund – USA schon einen Schritt weiter

Griechenland pleite, Italien, Spanien und Portugal kurz vor dem Staatsbankrott, der Euro im Tiefflug.
Diese und weitere Schreckensmeldungen aus der Welt der Wirtschaft erreichen uns täglich.Die Gegenmaßnahmen der Regierungen wirken hilflos. Banken werden mit Steuergeldern gerettet, teure Schutzschirme werden aufgespannt, die Notenbanken werden gezwungen marode Staatsanleihen zu kaufen und geben Kredite (fast) zum Nullzins. Das ganze machen die Staaten natürlich auf Pump, denn Geld ist schon lange keines mehr da.Inflation scheint kein Problem zu sein, obwohl die Geldmenge ständig wächst, bleiben die Preise stabil. Teilweise sinken sie sogar (zum Beispiel auf Immobilien in Spanien). Das lässt sich Volkswirtschaftlich nur schwer erklären.
Auch die Preisschwankungen von Öl, Baumwolle oder die Risikoaufschläge bei Staatsanleihen lassen sich nicht durch reales Wirtschaften erklären.
Hinter all dem Steckt keine Logik, kein „Marktgleichgewicht“ im klassischen Sinne, sondern dies ist das Werk der Spekulanten.Sie wetten auf Kursgewinne oder Verluste, wetten auf oder gegen Rohstoffe, Immobilien, Staaten.
Dies tun sie nicht um den volkswirtschaftlichen Wohlstand zu erhöhen, sondern primär um sich selbst schnell und ohne Anstrengung zu bereichern.

Fonds und andere Kapitalmarktprodukte schaffen keinen reellen Wert. Sie nutzen die Abhängigkeit der Industrie von Öl oder Baumwolle aus, sie nutzen die Notwendigkeit von Nahrungsmittelimporten der afrikanischen Länder aus, sie Nutzen die Abhängigkeit der Staaten von Geld aus dem Kapitalmarkt aus, um die Preise in die Höhe zu treiben. Damit verdienen sie ihr Geld. Das die Industrie und Staaten daran kaputt gehen können oder Menschen in Afrika sich teure Lebensmittel nicht leisten können, das ist dem Fondsmanager egal.
Sein Ziel sind 25% Rendite, nicht die Hungertoten in Afrika zu reduzieren.
Die Frage ist, wie lange kann diese Spiel an den Finanzmärkten noch gespielt werden?

Die ersten zarten Regulierungsversuche europäischer Regierungen sind im Anmarsch.

So soll in Deutschland eine Bankenabgabe die Banken zwingen beim nächsten mal für die eigene Rettung aufzukommen. Dafür gibt es zwar auch den Einlagensicherungsfond, aber das scheint noch niemand in Berlin bemerkt zu haben. Die Bankenabgabe wäre auch nur ein Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Stein. Etwa 1 Milliarde Euro soll pro Jahr in den Fond fließen. Allein die „Rettung“ der Commerzbank hat 18 Milliarden Euro gekostet. Die HRE war deutlich teurer (ca. 50 Milliarden € und Garantien von über 500 Milliarden €, die aber noch nicht fällig wurden). Die nächste Krise dürfen also frühestens in etwa 80-100 Jahre kommen, damit dieses Mittel ein minimum an Erfolg hat.

Als weitere Maßnahme wird die Finanztransaktionssteuer diskutiert. Diese soll einen Steuer von 0,01 % auf alle Transaktionen sein. Das wäre mit Abstand der niedrigste Steuersatz in der Geschichte der Bundesrepublik. Damit die Transaktionen nicht einfach aus Deutschland verlagert werden, soll diese Steuer Europa- am besten gleich Weltweit kommen. Doch England und die USA haben schon widerstand angekündigt. Solch einen Finanzsozialismus will man nicht mitmachen. Diese Steuer würde, laut einer konservativen Schätzung des deutschen Bankenverbandes, „zu einem weltweiten Steueraufkommen in einem dreistelligen Milliardenbereich führen“. Pro Jahr!

Eine tatsächliche Regulierung, wie feste Wechselkurse oder das weltweite Verbot von Leerverkäufen, wird es nicht geben. Zu stark sind die Lobbyverbände der Banken, zu groß der Einfluss der Hochfinanz auf die Politik.
In ganz Europa geht nach der beinahe Pleite der Griechen ein Schlachtruf durch die Länder. „Jetzt müssen wir sparen!“

Überall werden Kosten gesenkt, Sozialsysteme zusammengestrichen, Arbeitszeiten verlängert, Löhne gesenkt und Steuern erhöht. Diese Art der „Krisenbekämpfung“ zertritt die zarte Konjunkturpflanze, welche seit Ende 2009 blüht. Die Binnennachfrage in ganz Europa wird zurückgehen, auch die staatliche Nachfrage wird einbrechen. Die Folgen werden sinkende Wirtschaftsleistungen und massive Arbeitslosigkeit sein. Sinkende Steuereinnahmen und hohe Kosten zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit sind vorprogrammiert. Ein Teufelskreis.
Doch richtig mulmig wird es einem, wenn man über den europäischen Tellerrand hinaus schaut.

Alle Regierungen Europas zusammen haben sieben Billionen (7.000.000.000.000 €) Schulden, das entspricht in etwa neun Billionen Dollar. Die USA haben 12,9 Billionen Dollar Schulden! Spart nun Europa hat die USA zwei Optionen. Sie verschulden sich zugunsten Europas weiter, dann ist es nur einen Frage der Zeit, bis sie die Schulden nicht mehr tilgen können, aber immerhin bekommt Europa eine Gnadenfrist oder sie fangen ebenfalls an zu sparen.Das wäre für die exportorientierten Nationen (wie Deutschland) der Super-Gau. Würde zusätzlich zum Binnenmarkt auch die Auslandsnachfrage zurückgehen, stünde uns eine schwere wirtschaftliche Depression ins Haus.
Doch was tun, wenn scheinbar jede Option ins Elend führt?

Vielleicht ist es an der Zeit, die Menschen/Fonds zur Kasse zu bitten, welche Jahrelang auf Kosten anderer 25% Rendite gemacht haben, obwohl die Weltwirtschaft nur um 1-2% wuchs.

–  team aknw ivs

Mai 27, 2010 Posted by | Überlegungen, Gerechtigkeit, Internationale Politik, Kritik, Wirtschaft, Wirtschaftspolitik | 5 Kommentare

Sein oder Bewußtsein

Die Welt ist immer noch da,….trotz schwarz-gelb. Das will uns zumindest die breite Masse an Medien weiß machen. Ist es nicht merkwürdig, dass es in Deutschland innerhalb den letzten Wochen erheblich kälter geworden ist,….ein Schelm wer böses dabei denkt 😉

Nun ja was sich nun jedoch abzeichnet, kann man bislang nur waage vermuten gechweige denn verstehen. Klar ist, dass den meisten – allen voran den Befürwortern und den Promotern der sich jetzt konstituierenden Koalition – aber auch den Leidtragenden davon, die Konsequenzen und Folgen des einzigen „beinahe“ Volksentscheids der BRD vom 27. September 2009, (noch) nicht bewusst sind. Das spiegelt eine große Problematik wieder. Stattdessen berichten Medien rechts wie unter dem Deckmantel des Wortes „links-liberal“, von den Erfolgen und verwertbaren pragmatischen Kompromissen, die tagtäglich von den Unternehmern und Interessenvertretern der Parteien ausgehandelt werden. Diese peformative Berichterstattung tritt nur an manchen Stellen kurz in den Hintergrund, wenn versucht wird  diese Strategie durch eine andere Argumentationsfigur- und zwar die der angeblichen gegenseitigen Regulierung und Zähmung von Zentrum und Wirtschaftlern – abzulösen. Bei letzterer versucht das große Spektrum an medialer Repräsentation – aber leider keinesfalls breites oder liberales, im eigentlichen Sinne der Konnotation – ein Ablenkunsmanöver zu konzipieren, dass davon abhalten soll, die Realität zu erkennen. Die Realität der Gegenwart, die Realität der zukünftigen Wege und die Realität der Kälte.

Morpheus: It is the world that has been pulled over your eyes to blind you from the truth.
Neo: What truth?
Morpheus: That you are a slave, Neo. Like everyone else you were born into bondage, born into a prison that you cannot smell or taste or touch. A prison for your mind

(Matrix)

-team aknw rk

Oktober 17, 2009 Posted by | Überlegungen | Hinterlasse einen Kommentar

Sieg der Bürgerlichen über die Bürger!

Eine Kommentierung der Bundestagswahl von team aknw ivs.

Deutschland hat gewählt. Ganz Deutschland? Nein, nur 72,2% der Deutschen sind zur Wahl gegangen. Das ist ein neuer Tiefstand in der Geschichte der Bundesrepublik. Die geringe Wahlbeteiligung ist darauf zurückzuführen, dass dieses Mal keine der angetretenen Parteien ein Programm anbieten konnte, welches die Nichtwähler überzeugt hätte. Allen voran die Sozialdemokraten haben zur niedrigen Wahlbeteiligung beigetragen. Größter Gewinner der Wahl ist die FDP. Von der Opposition in die Regierung, und das mit einem Stimmenzuwachs von 4,8%. Die Union aus CDU und CSU hat zwar insgesamt 1,3% verloren, stellt aber im neuen Bundestag, mit 239 Sitzen, die mit Abstand größte Fraktion. Durch die vielen gewonnen Direktmandate, hat die Union sogar einen absoluten Zuwachs von 13 Sitzen. Die Mehrheit der linken Parteien in Deutschland ist dahin. Nun regieren die Bürgerlichen. Was die nächsten vier Jahre bringen werden, wird sich zeigen. Immerhin gibt es keine Mehrheit im Bundesrat, und so wird es schwierig, die ganz großen Themen anzupacken. Doch Westerwelle hat Pläne mit der Republik.

Leistung soll sich wieder lohnen. Konkret bedeutet das bei den Liberalen: Lockerung des Kündigungsschutzes, Schwächung der betrieblichen Mitbestimmung, Ausweitung des Niedriglohnsektors, Privatisierung des Gesundheitswesens und Senkung der Hartz IV Sätze. Wer sich kein Brot mehr kaufen kann, wird eher eine Arbeit annehmen. Egal wie menschenunwürdig oder schlecht bezahlt sie ist. Das „neue Deutschland“ wird ein Land der Leistungsträger und Eliten. Wer nicht mithalten kann, bleibt zurück. Das ist Fortschritt nach liberaler Art. Doch es regt sich Widerstand auf Seiten der Union. Die Union, allen voran die CSU, als Retter des Sozialstaates? Schwer vorstellbar.

Ebenfalls schwer vorstellbar ist, dass die FPD die Bürgerrechte gegen die Union verteidigt. Das BKA-Gesetz, der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, Lauschangriff, Vorratsdatenspeicherung und biometrischer Fingerabdruck im Personalausweis. Verteidigt uns Westerwelle gegen den Überwachungsstaat? Eher verteidigt die Bundeswehr Deutschland am Hindukusch. Was im linken Lager bleibt ist die Erkenntnis, dass die Partei „die Linke“ nicht alle Stimmverluste der SPD auffangen kann und, dass die Grünen ihr Wählerpotenzial mit ca. 11% ausgeschöpft haben. Die Zukunftsfähigkeit eines Bündnisses jenseits der CDU/FDP braucht eine starke SPD. Doch wieso hat die SPD so stark verloren? Wieso konnten die Wahlkämpfer der SPD nicht, wie in den vergangenen Wahlen, die Klientel an die Wahlurnen locken?

Die Erkenntnis, dass der (linke) Wähler dem Totschlag-Argument „Ohne uns kommt alles noch viel schlimmer“ nicht folgt, ist noch nicht bei allen Sozialdemokraten angekommen. Die Nerven der Wähler wurden mit der Rente mit 67, der Hartz IV Gesetzgebung, der Praxisgebühr und den Ein-Euro Jobs zu sehr strapaziert. „Ohne uns kommt alles noch viel schlimmer“ war nicht mehr vorstellbar. Seit einigen Tagen gibt es einen Richtungsstreit. Nach links oder in der Mitte bleiben ist die Frage, mit der sich die Spitzensozis auseinandersetzen. Die Antwort haben die Wähler am 27.09 bereits gegeben. Die neue Mitte wurde auf ganzer Linie abgestraft. Frank Walter Steinmeier hat das schlechteste Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte der Sozialdemokratie eingefahren. Doch an Rücktritt, Demut oder gar an eine Umkehr denkt er nicht. 10 Minuten nachdem diese historische Niederlage feststeht, meldet er, unter dem Jubel der Anwesenden im Willy-Brandt-Haus, seinen Anspruch auf den Fraktionsvorsitz an. Nichts gelernt, Herr Steinmeier! Setzen, sechs!

Der neue Parteivorsitzende wird im Hinterzimmer von einer kleinen Clique gekürt, die Stellvertreter gleich mit. Das Parteiprogramm sowieso. Wer braucht schon eine Basis. Dies sind die Gründe, warum die einst mitgliedsstärkste Partei Deutschlands nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Die Angst vor einer inhaltlichen Diskussion wird deutlich, wenn man sieht, wie mit dem Hinweis auf die Geschlossenheit jeder Kritiker mundtod gemacht wird. Doch so wird es nicht weitergehen. Zu viele Wähler hat die Partei vor den Kopf gestoßen. Sie ist zu weit gegangen mit der Zensur der eigenen Mitglieder. Entweder, die Basis erhebt sich und ein Sturm der Entrüstung bricht los, oder die Basis wendet sich resigniert ab. Das Erste dürften die wenigstens Spitzengenossen überleben. Das Zweite dürfte die Partei nicht überleben.

– team aknw ivs

Oktober 8, 2009 Posted by | Überlegungen | 1 Kommentar

Leben von sittenwidrigen Löhnen – Soll das die Zukunft sein?

Gestern durften wir ihn bewundern, den großen Jubel bei konservativen und liberalen Mitmenschen und die Börsenkurse steigen heute auch beständig. Das ist kein Wunder bei der Aussicht auf gelockerten Kündigungsschutz und „DiscountarbeiterInnen“, welche von ihrem Lohn nicht leben können. Aber was bedeutet das für den Großteil der Bevölkerung, welcher nicht aus Unternehmern besteht, sonder aus einfachen Angestellten? In diesem Artikel werde ich der Frage nachgehen, was es bedeutet für einen sittenwidrigen Lohn arbeiten zu müssen.

Heute sind bereits 22% der ArbeitnehmerInnen im Niedriglohnsektor beschäftigt, zum Vergleich in den USA sind es 25%. Doch nicht nur das, denn seit 2004 ist der durchschnittliche Stundenlohn von Niedriglohnbeziehern gesunken und immer mehr Menschen verdienen weniger als 5 € stündlich. Häufig hört man in diesem Kontext das Argument, dass Menschen, welche weniger leisten und gering qualifiziert sind auch weniger verdienen sollen. Doch die Zahl der Beschäftigten im Niedriglohnsektor mit abgeschlossener Berufsausbildung ist seit 2004 gestiegen, denn sie machen zwei drittel der Beschäftigten im Niedriglohnsektor aus und auch Frauen sind von dieser Entwicklung besonders stark betroffen, denn 70% der Beschäftigten im Niedriglohnsektor sind weiblich.

Diese Statistiken sind erschreckend, aber noch erschreckender werden sie, wenn man sich vor Augen führt, welche Schicksale dahinter stecken. Wenn man beispielsweise an den Familienvater aus Sachsen-Anhalt denkt, welcher in seiner Nachtschicht 4,40€ pro Stunde verdient und dafür kein geregeltes Familienleben mehr hat, weil er in der Nacht arbeiten muss. Oder an den Angestellten im Gartenbau aus Sachsen, welcher für seine Tätigkeit 2,74€ bekommt. Sachsen-Anhalts Arbeitgeberpräsident Helge Fänger äußerte sich zu dieser Thematik folgendermaßen: „Wir haben einen breiten Sockel an niedrig qualifizierten Leuten, die kann man nur für einfachste Arbeiten an hochproduktiven Anlagen, wie etwa Fließbändern, einsetzen“ laut Fänger sei, „ihre Stellung in der Wertschöpfungskette ist so niedrig, dass es einfach nicht möglich ist, mehr für sie zu bezahlen“. Diese Aussage ist meiner Meinung nach einfach nur unverschämt, zumal es sich bei den beschäftigten im Niedriglohnsektor nicht nur um gering qualifizierte ArbeiterInnen handelt.

Doch es wird sich wohl auch in Zukunft nichts an dem Schicksal der Menschen, welche im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, ändern. Denn die FDP ist strikt gegen Mindestlöhne und auch wenn Minijobber in Zukunft bis zu 600€ verdienen dürften, wäre dadurch wohl kaum ein menschenwürdiges Leben möglich.

-team aknw mr

September 28, 2009 Posted by | Überlegungen, Gerechtigkeit, Kritik, Sozialpolitik, Wahlen | Hinterlasse einen Kommentar

Mit Butler, Foucault und Marx auf dem Weg zur Bundestagswahl 2009…

Mit Butler, Foucault und Marx auf dem Weg zur Bundestagswahl 2009

Oder: Die Offenheit von zukünftigen Konzepten und warum sogar Die Linke ein Interesse an einer starken SPD hat

Nach den Wahlen im Saarland, in Sachsen und in Thüringen wurde eines klar ; und zwar das nichts klar ist, im Bezug auf die Bundestagswahl am 27.09.2009, die über eine neue Zusammensetzung der Sitzverteilung im Bundestag und darüber hinaus über die machtpraktische Frage der Regierungsbildung und –Verantwortung entscheiden wird. Die strukturelle Situation der inter-parteilichen Konfrontationen wird vor dem Hintergrund der sogenannten Großen Koalition – bestehend aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und dem Zentrum – seit geraumer Zeit vom öffentlichen Feld viel mehr als konfliktorientierter Kampf nach Anerkennung und Positionierung wahrgenommen, anstatt als Garant für Stabilität und ungeliebtem aber notwendigem Kompromiss einer „klugen Politik“ in schwierigen Zeiten. Dies symbolisiert zugleich das faktische Schwinden von Akzeptanz und Legitimität. Ob dieser Zustand nach dem 27. September überwunden werden kann, halten mittlerweile viele jedoch wieder für fraglich.

Diese Stimmung, die nicht nur wie ein Gespenst durch den lebensweltlichen Raum wandert, sondern sich auch ganz stark auf Teile der medialen Repräsentation auswirkt, sollte nicht als unerklärbares Phänomen ignoriert werden, bzw. unterbewertet bleiben. Vielmehr sollte sich darauf konzentriert und besonnen werden, dass der Ausdruck von Unzufriedenheit und die Identifikation von Problemen und Irritationen keineswegs alleine darauf zurückzuführen ist, dass die Adressaten der Kritik – nämlich die sich in der Regierungsverantwortung befindenden Parteien – einfach nur falsch verstanden werden. Vielmehr sind die zu beobachtenden Reaktionen auf die derzeit noch anhaltende politische Konstellation Ausdruck von antagonistischen Kräfteverhältnissen, die sich ihrerseits im sozialen und politischen Raum konstituieren, und eine produktive Möglichkeit bereit halten Kritik zu artikulieren. Aus einer empirischen Sicht spielt es dabei zunächst erst einmal keine Rolle, ob es sich um reaktionäre oder fortschrittsorientierte Stimmen handelt. Dieser Punkt will aufzeigen, dass eine Kritik an bestehenden Verhältnissen nicht notwendigerweise agonal im Marxschem Sinne sein muss. Die prinzipielle Offenheit der Sprache ermöglicht es auch rückwärtsgewandte Forderungen und Kritiken zu formulieren. Wichtig festzuhalten ist, dass diese (sozialen Praktiken) allesamt vor dem Hintergrund von spezifischen strategischen Formationen entstehen, und sich entlang dieser auch vollziehen. Foucault würde hier von einer ganz bestimmten Form der Rationalität sprechen, die ihrerseits eingebunden ist in ein produktives Machtverhältnis, das zwar einerseits eine repressive und dominierende Funktion ausübt, auf der anderen Seite aber auch ebenfalls ein Moment von Produktivität bereithält, das ermöglicht neue Wege zu betreten.

Die praktische Frage, die sich hieran im Kontext der statt gefundenen Landtagswahlen knapp einen Monat vor der Bundestagswahl anschließt, sollte das Verhältnis von medialer Repräsentation – das heißt Aufarbeitung, Berichterstattung und Darlegung der Ereignisse – der gesellschaftlichen Stimmung im Land und den Folgen für den 27. September diskutieren.

Wo könnte sich in diesem Spannungsfeld ein produktives Moment befinden, dass vor allem für die Akteure, die gegen eine sich verdichtende Tendenz fortschreitender neoliberaler De-Sozialisierung und damit auch gesellschaftlicher Entgrenzung antreten, eine neue Hoffnung produzieren. Faktisch ist mittlerweile in dem Gesamtbild der Meinungsumfragen und Prognosen, der vorwiegend konservativ-liberalen Institute und TV-Formate längst nicht mehr alles so klar, wie es die letzten zwei Jahre stetig postuliert wurde. Die Gewinner der letzten Wahl waren die kleinen Parteien. Die Amtszeit der „Großen Koalition“ hat dieses soziale Phänomen nicht beseitigt sondern reproduziert, ja man könnte sogar sagen in seinem Ausmaß gesteigert. Die FDP erzielt bisweilen in Umfragen Traumergebnisse, von denen Herr Möllemann wahrscheinlich seiner Zeit nur zu träumen gewagt hat, die Grünen müssen sich fast noch ärgern, dass ihr langjähriges Steckenpferd (Umwelt und Co.), inzwischen auch von den anderen Parteien (insbesondere CDU) versucht wird für machtpolitische Zwecke zu verwerten. Nichts desto trotz haben auch die Grünen ordentlich zugelegt. Wobei Die Linke an die Grünen den Vorwurf richtet, dass nachhaltiger Klimaschutz unter der Logik der Verwertung, des ökonomischen Gewinns, genau der antagonistische Widerspruch des Kapitals ist, der auch in  dem Spannungsverhältnis zwischen „Umweltschutz und Kapitalismus“ zum Ausdruck kommt.

Die Linke wird mittlerweile sogar von den Medien als neue Partei der Gewerkschaften diskutiert. Und selbst die konservativsten Vertreter und Parteifunktionäre zweifeln mittlerweile wohl nicht mehr an, dass man sich im Bund nun schnellstmöglich auf ein Fünf-Parteien System einstellen sollte. Auf föderaler Ebene bestehen hier noch reaktionäre Versuche, diese mittelfristigen Tendenzen wegzureden und damit destabilisierende performative Macht aufzubauen, das heißt durch das permanente Negieren dieses Zustands, einen anderen Zustand herbeizubeschwören. All diese Konsequenzen zeigen nur eins deutlich. die Diskussionskultur ‚im Politischen’ hat sich im Verlaufe der Zeit der Großen Koalition pluralisiert. Und das ist zunächst einmal etwas Positives, folgt man den Grundgedanken des politischen Liberalismus, der mit seinen Idealen von Freiheit, Toleranz und Gerechtigkeit ein essentieller Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland darstellt, teilweise explizit im Grundgesetz verankert, sowie in der sozialen Kultur der Autoren der deutschen Demokratie ; dem Volk.

Ob die Freie Demokratische Partei Deutschland (FDP), allerdings ins Spektrum des Politischen Liberalismus einzuordnen ist, bleibt ein widersprüchliches Thema, schaut man sich faktisch die freiheits-einschränkenden programmatischen Punkte der Frei-Demokratler an, die genau die produktiven, freiheits-bereitstellenden Elemente von solidarischer und intersubjektiver Freiheit untergraben. Es ist nach einer immanenten Logik erst einmal nicht problematisch sich auf bestimmte Freiheits-Werte zu konzentrieren, oder gewisse Punkte zu privilegieren. Wenn man dies aber tut, sollte man – allein schon dem eigenen Name und Anspruch nach so fair, tolerant und gerecht sein – dass man mit der eigens getroffenen Privilegierung von Wirtschafts- und Produktionsfreiheiten, eine andere Dimension der Freiheit ins Abseits befördert. Die FDP macht dies, ohne sich jedoch dezidiert dazu zu bekennen und dies einzugestehen. Das würde jedoch nur dem eigenen Anspruch von Toleranz gerecht werden. Nicht mehr und nicht weniger.

Was uns die Wahlen nun konkret für den 27. September aussagen werden, bleibt abzuwarten. Die entscheidende Frage ist, ob sich in den Ländern Saarland, Sachsen und Thüringen dazu entschieden wird, die Frage des politischen Weges noch vor der Bundestagswahl zu klären, oder ob die Katze erst nach der Wahl im Bund aus dem Sack gelassen werden soll. Ein Signal in Richtung Rot-Rot bzw. Rot-Rot-Grün auf Länderebene, sowohl im „Westen“ als auch im „Osten“ würde nicht dazu beitragen, die politische Glaubwürdigkeit der Parteien im Bund in Frage zu stellen. Versuche dieser Art werden zwar unternommen, unterliegen aber ebenfalls einem Versuch der Akzentuierung und Ausübung von performativer Macht.

Die Positionen im Bund weichen zu diametral auseinander, um daraus ein gemeinsames Projekt zu formulieren, dass einen heterogenen diskursiven Anspruch, mit kohärenten politischen Entscheidungen verbindet. Hierzu müssen sich die Parteien wirklich fragen, in wie fern, eine utilitaristische Argumentationsfigur in Bezug auf die Kriegs-Frage noch länger haltbar ist. Menschenleben quantitativ miteinander abzuwägen und in diesem Kontext mit Verantwortung und Menschenrechten zu argumentieren und den Krieg in Afghanistan zu legitimieren widerspricht genau dem Anspruch einer emanzipatorischen, selbstbestimmten demokratischen Kultur. Der Aspekt der Alternativlosigkeit wird so Absolut gesetzt. Solange  die Parteien von SPD und Grüne nicht dazu bereit sind, sich auf einen inhaltlichen Diskurs mit der Partei Die Linke einzulassen, die in ihrer Haltung diesbezüglich sowohl medial als auch politisch diskreditiert wird, sorgt dieses Spannungsverhältnis für eine Unüberbrückbarkeit der gegenseitigen Annäherung. Das CDU und FDP diesbezüglich noch schärfer schießen ist selbstredend. Prognostisch kann man jedoch auf jeden Fall erwarten, dass die Kriegs-Frage in der Legislaturperiode bis 2013 ein entscheidendes diskursives Gewicht einnehmen wird und letztendlich eine Rück-Besinnung auf die Worte Willy Brandts vollzogen wird, der sagte: „Krieg ist kein Mittel der Politik“.

Vielmehr würde die pragmatische Bekennung der Zusammenarbeit zwischen SPD – (Grünen) und die Linke auf Landesebene dazu beitragen die konservativ-liberale Hegemonie eines Zeitgeistes schrittweise zu destabilisieren und damit aufzulockern, sodass der öffentliche Diskurs sich nicht nur lediglich um die Frage drehen würde, wo sich die Konfliktlinien zwischen den Parteien „im linken Spektrum“  befinden, sondern sich verschieben würde und ernsthaft darüber diskutieren würde, welches Projekt Deutschland mittel-langfristig – Bevölkerungsgeleitet – regieren würde: Ein Projekt einer sich zunehmend radikalisierenden FDP und einer parasitären CDU, dass die Reformpolitik unter Schröder ( die zur Zeiten Kohls nicht mal Forderungen der Liberalen gewesen ist) auf die Spitze treiben würde, und den Sozialabbau und die gesellschaftliche Entwertung von sozialen Errungenschaften auf ein neues Level setzen würden, oder ein Projekt aus Rot-Rot-(Grün), dass nicht die absolute Utopie darstellt, jedoch neue Hoffnung schaffen würde, einen alternativen Weg zu beschreiten, der Aspekte, wie Soziale Gerechtigkeit, Toleranz und internationale Solidarität zu seinen Wegmarken machen würde.

Man sollte sich bei all diesen Überlegungen zum Schluss eines vergegenwärtigen. Über all diese Fragen, entscheiden nicht Technokraten oder Maschinen sondern Menschen und ihre Handlung. Zum Beispiel, die Handlung am 27. September zur Wahlurne zu gehen und seine Entscheidung zu treffen. Bisweilen haben wir leider nicht allzu viele Möglichkeiten unserer Rolle als Autoren – und nicht nur Empfänger – von Rechten, Pflichten und Aufgaben in der deutschen indirekt-geprägten Demokratie nachzugehen,….die Wahlen sind jedoch eine Möglichkeit davon. Wäre doch schade, diese dann nicht wahrzunehmen, oder?

-team aknw rk

September 8, 2009 Posted by | Überlegungen, Gedanken, Inneres | Hinterlasse einen Kommentar

AKNW – Serie ‚Essay‘: No. II

Ist eine Demokratisierung der internationalen Politik möglich – und ist sie wünschenswert?

„ […] Da sie dieses aber nach ihrer Idee vom Völkerrecht durchaus nicht wollen, mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi verwerfen, so kann an die Stelle der positiven Weltrepublik (wenn nicht alles verloren werden soll) nur das negative Surrogat eines den Kriegabwehrenden, bestehenden und sich immer ausbreitenden Bundes den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung aufhalten, doch mit der beständigen Gefahr ihres Ausbruchs.[1] (Immanuel Kant)

In den Internationalen Beziehungen herrscht Anarchie[2]. Das ist zumindest eine der paradigmatischen Grundannahmen  mit der die großen traditionellen Denkschulen der Disziplin der ‚IB’[3] konform gehen. Dieser Zustand beschreibt aber nicht wie missverständlich angenommen werden könnte bürgerliche oder zivilgesellschaftliche Revolutionen bzw. innerpolitische Unruhen, sondern weist einen individuellen Charakter auf, der im inneren Kontext des Teilbereichs ‚Internationale Beziehungen’ in den Sozialwissenschaften im Allgemeinen und den Politikwissenschaften im Spezifischen verstanden werden muss. Wenn man auf wissenschaftlicher Ebene über internationale Politik debattiert, dann bezeichnet Anarchie lediglich das Fehlen einer zentralen Sanktions- und Ordnungsgewalt, dass auf weltpolitischer Ebene verbindliche Entscheidung nach parlamentarischen Kriterien für alle internationalen Akteure trifft. Das heißt, es gibt auf dem internationalen Spielfeld keine supranationale Organisation, die mit den gleichen Kompetenzen ausgestattet ist, wie ein souveräner Nationalstaat[4] und dessen Gewaltenmonopol. Es gibt zwar Institutionen wie die Kommission der Europäischen Union, die für gemeinsame Binnenmarktpolitik, Währungsunion etc. zuständig ist und die einen supranationalen Charakter aufweist. Jedoch beschränkt sich diese Legitimation bisweilen auf bestimmte Reiche der politischen Dimensionen. Man spricht hier von den ‚low politics’, die wirtschaftliche, soziale und inner-gesellschaftliche Aufgabenfelder beinhalten und deren relevanten Diskurse zum Gegenstandspunkt macht. Eine Vergemeinschaftung in Bereichen  der Außen- und  Sicherheitspolitik gibt es bis heute in dieser strukturellen Ausgestaltung aber noch nicht. Die Vereinten Nationen sind in ihrer Ausrichtung von ‚polity, policy und politics’[5]zwar einer universellen und verbindlichen Weltorganisation am nächsten, dennoch wäre es  fatal in diesem Kontext von einer demokratische strukturierten Organisation zu sprechen, bezieht man es  auf die Dimension der politischen Prozesse und deren Ausgestaltung. Der UN-Sicherheitsrat stellt das höchste Entscheidungsorgan der UNO und der internationalen  Politik dar. Seine fünf ständigen[6] und die zehn rotierenden Mitglieder beschließen Resolution im Rahmen von Fragen der ‚kollektiven Sicherheit’ und damit über Kategorien von Krieg und Frieden. Die fünf permanenten Länder im UNSR sind außerdem allesamt mit einem Vetorecht ausgestattet, dass es ihnen erlaubt  Entscheidungen des Sicherheitsrats zu blockieren und somit sicher zu gehen, dass nicht gegen ihre nationalstaatlichen Interessen und Präferenzen gehandelt wird. Man sieht also, das System der Vereinten Nationen basiert in diesem Organ auf keinen demokratischen Konventionen, da Entscheidungen, zumindest unter ‚den fünf Großen’ einstimmig erfolgen müssen, damit die Vereinten Nationen handlungsfähig werden, und sich mit einer annähernd kohärenten Akteursqualität präsentieren. Nur unter dieser idealtypischen multilateralen Kohärenz ist es völkerrechtlich legal Sanktionen gegen andere Staaten zu verhängen oder zu intervenieren. Unilaterales Vorgehen in der internationalen Politik von einzelstaatlichen Akteuren soll mit dieser Ausrichtung verhindert werden. Dies sieht die theoretische Perspektive vor, betrachtet man aber die Kluft zwischen Theorie und Praxis so lässt sich schnell fest stellen, dass selbst  der einheitliche Beschluss von Resolutionen und die prozessuale Wegbereitung der  Entscheidungsfindung ins dunkle Licht zu rücken scheinen, wenn sie von hegemonialen Ansprüchen einzelner Länder oder Allianzen beeinträchtigt werden.

Zudem unterlagen die Vereinten Nationen während des Kalten Kriegs defizitären Ausrichtungen und Fähigkeiten, die Organisation beschlussfähig und zusammen zu halten. Die Sowjetunion blockierte so gut wie jede relevante und wichtige Resolution, die gegen ihre Interessen und Machtkalküle zu widersprechen schien. Um es  auf  eine spieltheoretische Perspektive zu übertragen kann man sagen, dass die UNO zu Zeiten des Ost-West Konflikts großen Kooperationsdilemmata[1] unterlegen war. Des Weiteren kann man sagen, dass die inklusive Ausrichtung der Organisation eine demokratische Verflechtung schwierig macht, da der UNO nicht nur liberal-demokratische Republiken, sondern auch autokratische Regime angehören. Dies kann zu Konfliktpotenzial führen, da die Divergenz in der Konstellation im Internationalen System  prädestiniert dafür ist, dass Werte und Verteilungskonflikte entstehen. Die internationale Politik sieht sich in Zeiten von Globalisierung, einer sich dezentralisierenden Staatenwelt und der post-nationalen Konstellation[2] völlig neunen Anforderungen ausgesetzt. Man muss erkennen, dass viele Entscheidungsprozesse nicht mehr

nur auf das Zuständigkeitsgebiet von Regierung und Parlament im Inneren eines Landes zu reduzieren sind und die ‚außenpolitische Maxime’ nicht nur lediglich der alleinige Reflex auf den strukturellen Zwang des internationalen Systems ist. Viel mehr muss davon ausgegangen werden, dass solche Grenzen, waren sie jemals so deutlich vorhanden nun mehr und mehr verschwimmen und somit eine Verlagerungen und Dezentralisierung der „agency-structure’[3] Beziehungen stattfinden. Die realistischen Paradigmen scheinen überholt, schaut man sich die Vielzahl an sozialen sowie politischen und gesellschaftlichen Akteuren an, die auf internationaler Ebene mitmischen. Die Annahme, dass der Staat  der einzig zentrale Akteur sei, ist nicht länger vertretbar. Die strukturelle Ausrichtung und Starrheit des ‚IS’[4] muss kritisch beleuchtet und in Frage gestellt werden. Liberale Perspektiven, deren höchste Maxime die gesellschaftliche Wohlfahrt ist, und deren Kategorien Interessen sowie Kooperation sind[5] gehen in ihren Grundannahmen ähnlich wie (neo)-realistische Ansätze ebenso von einem anarchischen Zustand aus, allerdings sind Wege zu Einhegung dieses real-sozialen Risikos komplexer und weit reichender ausdifferenziert, als die Möglichkeit zur Bildung von Allianzen.[6] Die realistische ‚Blackbox’, die besagt, dass das Innere eines Staates für seine außenpolitischen Handlungsalternativen irrelevant sei wird in liberalen Perspektiven geöffnet.[7] Diese legen den Fokus der Analyse auf die individuelle  bzw. gesellschaftliche Partizipation an den Entscheidungsfindungsprozessen. Dieses Modell gestaltet sich in einer ‚bottom up’ Struktur aus. Das heißt, Entscheidungen erschrecken sich von der Gesellschaft bis  nach oben hin zur Regierung und werden als gemeinschaftliche Prämisse ausgehandelt. Die Übertragung der getroffenen Entscheidung auf eine internationale Ebene bezeichnet der Ausdruck des ‚two-level-games’ oder auch Zwei-Ebenen-Spiel.[8] In neorealistischen Ansätzen geht man hingegen von einer ‚top down’-Hyrachie aus, die den zentralen Stellenwert des Staates betont. Entscheidung werden auf höchster Ebene, der Eliten, getroffen und differenzieren sich dann in den politischen Dimensionen des Landes aus. Zumal die Außenpolitische Maxime die Erhaltung der eigenen Souveränität darstellt, das heißt, die Sicherheit der eigenen physischen Existenz orientiert sich an ‚relativen Gewinnen und Bewertungskriterien’ im Vergleich zu anderen Akteuren im Internationalen System. Das Sicherheitsdilemma kann für einen Staat nur eingehegt werden, wenn er sich der gewissen Annahme bestätigt sieht, dass er im ewigen Rüstungswettlauf im Vergleich zu seinen Feinden besser dasteht. Die strukturelle Dimension des Realismus, die besonderes Kenneth Waltz  betont, zeichnet sich auch dadurch aus, dass rationale Grundzüge von mathematischen Gesetzen und Regeln angewandt werden.

“Laws establish relations between variables, variables being concepts that can take different values. If a, then b, where a stands for one more independent variables and b stands for the dependent variable: In form, this is the statement of a law.”[9]

Liberale Perspektiven sehen durch die Vergemeinschaftung und Bildung von internationalen Organisationen die Möglichkeit gewaltsame und kriegerische Konflikte einzudämmen und zu einer friedlichen Koexistenz zu gelangen. Diese Auslegung läst sich anhand von liberalen Doktrinen an Beispielen  von UNO sowie EU auzeigen. Die Gründung der  Europäischen Union z.B. im Jahr 1952 als EGKS z.B., wurde mit dem Hintergrund ins Leben gerufen, Deutsch-Französische Kriege in Zukunft zu vermeiden. Die Entwicklung der ‚Wirtschafts- und Zivilorganisation und ihre breite Verflechtung nahmen im Laufe der Jahre jedoch liberal-institutionalistische Grundzüge an,   auch wenn die neusten Tendenzen schon wieder andere Formen an zu nehmen scheinen.[10]

Dies ist genau der Punkt wo wir wieder zu der eigentlichen Frage, eine Demokratisierung der internationalen Politik zurückkehren. Man muss hier in Bezug auf die Liberalen Perspektiven kritisch anmerken, inwiefern die Vergemeinschaftung von demokratisch verfassten Staaten eine Abschottung nach Außen auf der einen Seite und eine Ideologisierung der zentralen Paradigmen mit sich ausbreitendem Werteimperialismus auf der anderen Seite darstellt. Sicherlich könnten Verfechter dieser Theorieschulen das erste Argument nach eigenen Aussagen leicht durch die Integration und Erweiterung der Organisationen widerlegen; selbst ein Platz Russlands in der NATO ist für die mittlere bis ferne Zukunft nicht undenkbar, aber die Stellenwerte von „Demokratie’ und ‚Liberalismus’ fragen gefährliche Inhalte  in sich, wenn  sie zwanghaft versucht werden in Schwellenländern zu etablieren. Der Verdacht einer Kreuzzugmentalität liegt nahe, die westlichen, demokratischen und liberalistischen Werte nach Außen zu tragen und anderen Nationen, Staaten aufzuzwängen. Ein Beispiel für ein wirtschaftsliberales Vorgehen dieser Art, zeigt die (Zwangs)-Privatisierung der Infrastrukturen und marktwirtschaftlichen Ordnung durch IWF und Weltbank; Beispielsweise in Schwellenländern. Kritisch beleuchtet durch Joseph Stiglitz in seinem Buch „Die Schatten der Globalisierung.“[11] Auch die liberale Friedenstheorie des ‚Demokratischen Friedens’ birgt in diesem Kontext einige Gefahren. Man unterscheidet hier zunächst zwischen der „monadischen“ und „dyadischen“ Variante. Die erstere besagt, dass Demokratien prinzipiell friedfertig sind und keine Kriege gegen andere Staaten anfangen. Dies scheint aber durch die zu beobachtenden (neuen) Kriege zunächst keine gesetzmäßige Konstante aufzuweisen. Vertreter dieses Ansatzes, begründen das ‚Führen von Krieg’ liberal-republikanischer Staaten jedoch damit, dass jene Staaten, die Kriege beginnen, ‚defekte’ oder nicht vollständig ausgebildete Demokratien seien, d.h. defizitäre Strukturen aufweisen. Vertreter des dyadischen Ansatzes sagen, dass (liberal)-demokratisch verfasste Staaten aufgrund von kultureller Nähe, Transparenz und gleichen Strukturen in ihrer Verfasstheit untereinander keinen Krieg führen. Das ‚realistische’ Sicherheitsdilemma wird somit unter diesen Staaten eingehegt. Die Theorie des „Demokratischen Friedens“ ist an für sich aber keine liberale Konzeption, sondern ein idealistisches Konzept das auf Immanuel Kant zurückführt, das er in seiner Schrift ‚Zum Ewigen Frieden’ formulierte. Ein wichtiger Punkt den Kant artikulierte war außerdem, dass die Bürger eines Staates aus eigenem Interesse keinen Krieg anzetteln würden, da sie im Falle eine Niederlage die Kriegslasten selbst zu tragen hätten. Dies spreche aus einer Kosten- Nutzen-Kalkül-Abwägung ‚(fast) immer’ gegen den Beginn eines Kriegs. Zudem wird davon ausgegangen, dass demokratisch verfasste Staaten von sich aus kein Krieg beginnen, da die jeweilige Regierungen des Staates aufgrund von zu erwartendem Kriegswiderstand und pazifistischer Einstellung der Bevölkerung um die eigene Widerwahl fürchten müssen. Da es in der Eigendynamik eines jeden ‚sozialen Akteurs’ liegt die eigene Existenz zu erhalten, ist  davon auszugehen, dass eine Regierung bestrebt ist fortzubestehen. Kant stellt zu dem sechs ‚Präliminärartikel’ und drei ‚Definitivartikel’ auf, die eine friedliche Koexistenz ermöglichen sollen.[12] Der wichtigste Artikel in Bezug auf diese Theorie besagt:“ Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch sein.“[13]

Hier stelle ich eine Abschottung gegen die Äußere Welt fest, denn der Demokratische Frieden scheint eine exklusiv wunderbare Theorie zu sein, die aber nur unter bestimmten Umständen und Voraussetzungen funktioniert und ansonsten für andere Akteure eine umso größere Gefahr darstellt. Gemeint sind nicht-demokratische Staaten. Die Gefahr besteht nicht nur für autokratische oder totalitäre Systeme sondern auch für die Demokratien selbst, die große Probleme mit der Intransparenz von solchen Regimen haben. Christopher Daase hat es meines Erachtens mit folgender Aussage vorzüglich auf den Kern getroffen:

„[…] Der Doppelbefund von der Friedfertigkeit zwischen Demokratien und Friedlosigkeit zwischen Demokratien und Nicht-Demokratien ist deshalb gar nicht so rätselhaft, wie er oft dargestellt wird. Demokratien sind eben von Natur beides: friedfertig gegenüber Demokratien, friedlos gegenüber Nicht-Demokratien. In meiner Interpretation ist deshalb der demokratische Frieden nichts anderes als ein Vergesellschaftungseffekt, der durch gemeinsame Kriegführung und Konfliktbewältigung entsteht (Cedermd Daase 2003). Es gibt viele gute Gründe, Demokratie für die bessere Herrschaftsform zu halten. Ihre Friedfertigkeit gehört aber meines Erachtens nicht dazu.[14]


„Anarchy is a nothing, and nothings cannot be structures“(Alexander Wendt)

Vielleicht versteht man nun die Pragmatik in der Ausgangsfrage des Essays, und deren Zusatz, ‚ob eine Demokratisierung überhaupt wünschenswert sei’, wenn sie denn möglich ist. Der Untersuchungsgegenstand sollte sich nicht darauf fokussieren nach neuen Reformen zu suchen und Wege zu finden, eine effizientere Ausgestaltung und Erweiterungen  von bestehenden internationalen Regimen und Abkommen zu ermöglichen, sondern viel mehr den Betrachtungswinkel auf die Lernfähigkeit der Menschen selbst richten. Sind wir überhaupt schon bereit für eine internationale Demokratie, oder wäre ein Machtmissbrauch unter jetzigen Umständen noch viel zu wahrscheinlich? Es muss ein Umlernprozess in Gang gesetzt werden und die Menschen müssen erst beginnen sich selbst neu zu sozialisieren und zu einer kulturell sowie normativ gleichen Verständigungsbasis zu gelangen, um die großen Probleme der Weltpolitik zu realisieren und kollektiv dazu Stellung zu nehmen. Anhand von Irak-Krieg und dem Problem des ‚transnationalen Terrorismus’ kann man meiner Meinung nach deutlich erkennen, dass trotz aller Versuche eine gemeinsame Artikulation zur Problemlösung zu finden, defizitäre Optionen gewählt und lückenhafte Aufklärungsarbeit geleistet werden. Eine ontologisch-holistische Betrachtung bringt uns in der modernen Gesellschaftswelt nicht mehr weiter. Wir müssen versuchen die oberflächlichen Strukturen zu durchdringen und durch intersubjektive Verständigung zu besseren epistemologischen Methoden zu gelangen. Die Welt darf in ihrer Form nicht als naturwissenschaftliches Instrument betrachtet werden, aber auch nicht als bloße ‚Arena’ zur Austragung von Wettkämpfen der unterschiedlichen Akteure. Viel mehr kommt es darauf an, dass die Akteure selbst zentral gesetzt werden, und sich nicht durch externe Sachverhalte determinieren lassen. Die Welt muss als soziales Konstrukt, und somit als soziale Wirklichkeit verstanden werden. Nur durch den Austausch von individuellen Erfahrungen und Ideen ist es möglich intersubjektive Bedeutungszuschreibungen und Rollen konstitutiv anzuerkennen. Die zwei großen Probleme, die zur Zeit noch für große Komplikationen, Mängel und Klüfte verantwortlich scheinen, sind zum einen das Behaaren von vielen Wissenschaftlern auf rationalistischen  Theorietraditionen mit denen versucht wird,  Sachverhalte und Ereignisse der Weltpolitik strikt auf paradigmatische Gesetzmäßigkeiten von vorgefertigten Sets anzuwenden. Diese Versuche unterliegen häufig dem Fehlen von Weitsicht und stellen eine Unterbewertung der Komplexität dar. Die Welt lässt sich nicht mit gleichungsartigen Formel ‚erklären’. Die Interaktionsprozesse und die zunehmende Verflechtung verlangen einfach nach etwas weitsichtigerem, als eine abgegrenzte Theorie. Mein Anliegen ist es nicht, die Erklärungspotenziale  von ‚rational choice’ Ansätzen vollends zu bestreiten, denn kontextbezogen können Grundannahmen liberaler sowie realistischer Perspektiven bei erster Betrachtung zunächst einmal gute Einstiegspunke für eine wissenschaftliche Analyse bieten. Allerdings ist es im Verlaufe der Untersuchungen erforderlich, sich auf eine meta-theoretische Ebene zu bewegen, um komplexere Zusammenhänge zu verstehen und erkennen zu können. Dies ist deshalb unumgänglich, da man beides, dem Inneren Kontext des Ereignisses, und dem äußeren Kontext einer (sozial)-wissenschaftlichen Sorgfalt gerecht werden muss.  Zum anderen ist die oftmals große Kluft zwischen ‚Ego’ und ‚Alter’ dafür verantwortlich, dass die Welt (noch) falsch interpretiert und wahrgenommen wird und aufgrund dessen drastische Fehleinschätzungen vorgenommen werden.

Ego

Alter

Selbstwahrnehmung, Eigenzuschreibung,

Herausbildung eines subjektiven Status,

Identität.

Die Wahrnehmung von Außen, die

reflektierende Antwort auf das eigene

Auftret

Konfliktpotenzial

Sozialisatorische Anforderung: Intersubjektiver Austausch (kulturell, gesellschaftlich)

Diese Zuschreibungen von Eigen- und Fremdbildern entsteht, aus einem unzureichenden Potenzial der zivilgesellschaftlichen Akteure. Hiermit will keinesfalls gemeint sein, dass der Geist, und  Wille fehlen, denn dass hat man zu Zeiten des Irak-Kriegs gesehen, in denen große Teile (fast) alle Bevölkerungen der einzelnen Länder demonstrierten,  sogar diejenigen, deren Regierung sich an dem Krieg der Vereinigten Staaten von  Amerika beteiligten. Die Gefahr besteht darin, dass der Staat in manchen Fällen noch zu viel Kontrolle über seine Bevölkerung ausübt und somit, Eindrücke und Positionen verfälscht werden. Eigentlich sollte ein Staat und seine Regierung vor seiner Bevölkerung Angst haben müssen und nicht umgekehrt.

Die soziale Wirklichkeit und damit verbunden auch das Verhältnis von ‚ego’ und ‚alter’ konstruieren sich immer situativ neu und somit ist garantiert, dass man jedes Mal neu vor der Entscheidungen und der Auswahl an Sets von Möglichkeiten steht. Dieses Sets, die Handlungsoptionen aufweisen, haben keinen starren, festgefahrenen Charakter, sondern rekonstruieren sich immer neu. Sie haben also eine regenerative Funktion. Das Problem, dass ich in diesem Zusammenhang mit einer Demokratisierung der Weltpolitik sehe, ist: Dass die Überwindung der divergierenden Ansichten von den Akteuren auf der Weltpolitikbühne in vielen entscheidenden und relevanten Fragen noch nicht so weit voran gestritten , und die Herausbildung einer kollektiven Identität und der wechselseitigen Verschmelzung von Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung erreicht sind, sodass die Grundvoraussetzungen den Nährboden ermöglichen, auf dem eine weltpolitische Agende begründet werden kann. Dafür spielt die Ausdifferenzierung der Fragen nach Vereinbarkeit von ‚politischer Freiheit’ und ‚sozialer Gleichheit’ und einer universellen Lösung derer, eine viel zu gewichtige und zugleich noch ungelöste Rolle.

-rk


[1] Vgl. Axelrod, Robert/ Keohane, Robert O 1985, hier S. 230.

[2] Vgl. Habermas, Jürgen 2000 :Bestialität und Humanitär. Ein Krieg an der Grenze zwischen Recht und Moral,

in Merkel, Kosovo-Krieg, aaO, S51-65, hier S.59.

[3] Vgl. Wight Colin 2006: Agents, Structures and International Relations. Politics as Ontology. The agent structure problem in IR theory: preliminary issues, S.90-120, hier S.90-91.

[4] IS: Internationalen Systems.

[5] Vgl. Moravcsik, Andrew 1997: „Taking Preferences Seriously: A Liberal Theory of International Politics“, in:

International Organization 51/4, S.513-553.

[6] Bandwagoning (mit dem stärksten zur Sicherheit, Schutz)  power balancing (Mit anderen oder alleine eine Gegenmacht bilden)

[7] Vgl. Moravcsik 1997, hier S. 517.

[8] Vgl. Moravcsik 1997, hier S. 530 und folgende.

[9] Waltz, Kenneth 1979: Laws and Theories, in: Theory of International Politics, S.1.

[10] So ist in vielen Diskursen oftmals die Rede von einem entgegengesetzten Wandel von EU und NATO. Bei der NATO vom Verteidigungsbündnis hin zur „Security Management Organization’ und zur ‚Out-of-Area Koalition’ und  ie EU sieht sich immer mehr der Frage ausgesetzt, ob sich ein Wandel  zum  Verteidigungsbündnis anbahnt.

[11] Vgl. Stiglitz, Joseph 2004: Die Schatten der Globalisierung, hier S. 79 Unten – S.80 oben,

[12] Dem Weg zum ‚Ewigen Frieden’.

[13] Kant, Immanuel 1781: Zum Ewigen Frieden, S.10.

[14] Daase, Christopher 2004: Demokratischer Frieden – Demokratischer Krieg: Drei Gründe für die

Unfriedlichkeit von Demokratien S.53-71, in: Schweitzer, Christine/Aust, Björn/Schlotter, Peter (Hg):

Demokratien im Krieg, Baden.Baden: Nomos, hier S. 68.

Literatur:

Axelrod, Robert/ Keohane, Robert O. 1985: „Achieving Cooperation under Anarchy: Strategies and Institutions“, in: World Politics 28/1, S.226-254.

Bruno, Simma 2002: Die Nato, die UN und militärische Gewaltanwendung: Rechtliche Aspekte, in: Merkel, Reinhard (Hrsg.): Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, Frankfurt, Suhrkamp, S. 9-33.

Daase, Christopher 2004: Demokratischer Frieden – Demokratischer Krieg: Drei Gründe für die Unfriedlichkeit von Demokratien S.53-71, in: Schweitzer, Christine/Aust, Björn/Schlotter, Peter (Hg): Demokratien im Krieg, Baden.Baden: Nomos.

Gresh, Alain/ Radvanyi, Jean/Rekacewicz, Philippe/Samary, Catherine/Vidal, Dominique 2006: Le Monde diplomatique: Atlas der Globalisierung. Die neuen Daten und Fakten zur Lage der Welt, Paris.

Habermas, Jürgen 2000 :Bestialität und Humanitär. Ein Krieg an der Grenze zwischen Recht und Moral, in Merkel, Kosovo-Krieg, aaO, S51-65.

Honecker, Martin 1996: Universität und Unteilbarkeit der Menschenrechte?, in: Brock, Lothar/EKD (Hrsg.): Menschenrechte und Entwicklung, Frankfurt/M.: GEP Buch, S.20.30.

Kant, Immanuel 1781: Zum Ewigen Frieden. Aktualisierte Aufgabe von 1984. Philipp Reclam jun, Stuttgart.

Krell, Gert 2004: Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorien der Internationalen Beziehungen, 3. Auflage, Baden-Baden: Nomos.

Moravcsik, Andrew 1997: „Taking Preferences Seriously: A Liberal Theory of International Politics“, in: International Organization 51/4, S.513-553.

Stiglitz, Joseph 2004: Die Schatten der Globalisierung, München.

Waltz, Kenneth 1979: Laws and Theories, in: Theory of International Politics.

Wendt, Alexander 1992: „Anarchy is what states make of it: The Social Construction of Power Politics“, in: International Organization 46/2, S291-425.

Wight Colin 2006: Agents, Structures and International Relations. Politics as Ontology. The agent-structure problem in IR theory: preliminary issues, S.90-120.

Wilkinson, P 2002: „Terrorism versus Democracy“, London, S.188-2001.

August 6, 2009 Posted by | Überlegungen, Gedankenexperimente, Gerechtigkeit, Internationale Politik | Hinterlasse einen Kommentar

AKNW – Serie ‚Essay‘: No. I

Soziales Handeln und die Konstitution von Entscheidungen

– kurzer Abriss Von René Kimpel

Das Ideal der Chancengleichheit in egalitaristischer Theorietradition sieht sich in den wahrhaftigen sozialen Kontexten und Feldern einer Gesellschaft einem performativen Widerspruch ausgesetzt. Die Vorstellung einer ausstattungs-intensiven und absichts-sensitiven Strukturausdifferenzierung (Vgl. Dworkin 1981) greift in diesem dichotomen Selbstverständnis zu kurz. Die modelltheoretische Herleitung, beispielsweise über das Konstrukt eines Urzustandes (Vgl. Rawls 1975) kann nicht als grundlegender Ausgangspunkt einer absoluten Struktur gedacht werden; weder rekonstruktionslogisch abgeleitet der epistemologischen Prämissen noch unter anthropologischen Gesichtspunkten.

Chancengleichheit durch die Beseitigung von natürlichen Ungleichheiten der Individuen zu definieren, die auf diesen gleichen Prämissen aufbauenden Entscheidungen und  folgenden prozedurale Interaktionen der Akkumulation von Wissen und materiellen Gütern der Akteure jedoch als gerechtfertigt ungleich anzuerkennen, spiegelt die paradigmatische Verkürzung dieser dualistischen Denkfigur wieder. Sie verkennt nämlich, dass Entscheidungen keine Gebilde im geschlossenen Vakuum sind. Ebenso wenig überzeugend und somit problematisch ist die Behandlung der Entscheidung als a-soziales Modell einer Blackbox, deren interne intersubjektiven Prozesse und Verflechtungen der Individuen bzw. Subjektkonstituierenden Merkmale, die relational zu spezifischen Entscheidungskontexten gedacht werden müssen und dafür konstitutiv sind, ausgeblendet werden. Eine Entscheidung hat selbst also keinen subjektiven Charakter sondern bezeichnet lediglich einen Prozess indem durch kognitive, diskursive und soziale Beziehungen eine partikulare Situation erzeugt und somit geprägt wird. (Vgl. Foucault 1975 und 1976)

Wenn ich überlege, dass ich mir gerne ein Auto kaufen möchte, dann wäre es unzureichend begründet zu argumentieren, dass solch eine Präferenz bzw. Interesse aus dem Wert der individuellen Freiheit und damit auch der Selbstbestimmung alleine resultiert. Die (bewusste) Verkürzung um die Dimension des Sozialen Handelns und dessen räumliches und geistiges Umfeld mit sozialisatorischen sowie identitätsausbildenden Potenzialen, stellt keine sorgfältige Rekonstruktion der Entscheidungsfindung dar, da sie ein statisches Verständnis von Struktur und eines abgekoppelten, rein funktional agierenden, Akteurs impliziert. Ein anderes Beispiel soll diesen Argumentationspunkt noch besser veranschaulichen. Gehen wir in einem Gedankenexperiment von einer Gleichverteilung der materiellen Güter aus, in dessen Ausdifferenzierung jedoch nach wie vor unterschiedliche natürliche Begabungen und Talente zufällig verteilt sind, für die, so gehe ich in dieser Überlegung aus keiner etwas kann, weder im positiven noch im negativen Sinn, sodass nach egalitaristischer Lesart die Ausgangspunkte für eine gleiche Gesellschaft, mit der Fähigkeit zur Erzeugung von pluralistischen Interessen und Lebensweisen sichergestellt sind. Nehmen wir nun an Person A sowie Person B bekommen ein Baukasten-Set für ein Grundstück. Person B ist aber aufgrund seiner (bekannten) natürlichen Fähigkeiten viel geschickter in der Errichtung und Konstruktion seiner Existenzräume und deren Ausdifferenzierungen als Person A, die z.B. aufgrund von psychologischen oder kognitiven Problemen nicht in der Lage ist die Ausgangssituation (Das Baukasten-Set) so geschickt zu gestalten/verwenden wie Person B. Die Ungleichheit, die durch diesen Prozess der Entscheidung zur Errichtung eines Grundstücks zu Tragen kommt, scheint intuitiv ungerecht, da die Prozedur und die komplexen konstitutiven Folgen einer kontextspezifischen Entscheidung, ungerechte Verteilungen  nicht ausreichend durch ursprüngliche Chancengleichheit abmildern, sondern in ihren Inhalten und Ergebnissen stetig reproduzieren und sogar in ungerechtfertigter Weise steigern. Das ist ein Problem, dass eine Kausallogik der Entscheidungsfindung nicht greifbar machen kann, da sie lediglich zwischen zwei bereits existierenden Punkten operationalisiert. Soviel lässt sich bis zum jetzigen Zeitpunkt also festhalten, wenn man wie in diesem Modellversuch gemacht, natürliche Fähigkeiten als individuell leistungsfrei und somit verdienstfrei versteht. Deontologisch müsste Chancengleichheit als prozeduralistisches Verständnis zu jedem Punkt garantiert werden, um die relationalen Dimensionen und den weit reichenden Verknüpfungen von Entscheidungen gerecht zu werden. Dies kann nur geschehen, wenn sich die natürlich Bevorteilten ihrer privilegierten Lage von körperlichen oder natürlich-geistigen Fähigkeiten, anhand einer ethischen Reflektion, bewusst werden und solidarische Strukturen des Denkens ausprägen.[1]

Nur durch solch ein Erkenntnisschritt und der sozialen Interaktion mit den Verlieren der Entscheidungen können jenen Teilnehmer der Gesellschaft psychologische, mentale oder soziale Ängste, z.B. des Versagens oder der Ausgrenzung, genommen werden und zukünftigen Entscheidungen der kognitiven, diskursiven und sozialen Praktiken eine komplexere konstitutive Dimension verleihen.

Literatur:

Dworkin, Ronald (1981): What is Equality! Part 2: Equality of Resources. In: Philosophy &  Public Affairs 10. 283-345.

Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Foucault, Michel (1977): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Rawls, John (1975): Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp.


[1]Hier muss allerdings noch einmal unterschieden werden zwischen den Fähigkeiten die natürlich angeboren sind und jenen, die sich erst selbst durch intersubjektive Lebensprozesse und soziale Praktiken erzeugen.

August 6, 2009 Posted by | Überlegungen, Gedankenexperimente, Gerechtigkeit, Konzepte | , , , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar